Leitfaden: Konzeption und Produktion von zugänglichen Online-Videos für blinde und sehbehinderte Menschen

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Videos werden immer häufiger für die Online-Kommunikation eingesetzt. Oft sind diese jedoch nicht barrierefrei für blinde und sehbehinderte Menschen. Es werden zum Beispiel Videos veröffentlicht, die nur Infografiken mit eingeblendetem Text zeigen und auf deren Tonspur nur Musik zu hören ist. Blinden und sehbehinderten Menschen bleiben diese Informationen verborgen.

Eine barrierefreie Videogestaltung ermöglicht nicht nur, dass blinde und sehbehinderte Menschen die transportierten Inhalte ebenfalls rezipieren können. Sie bietet auch weitere Vorteile:

  • Inklusive Kommunikation, die die gesellschaftliche Diversität abbildet
  • Vergrößerung der Zielgruppe um Menschen mit Sehbehinderungen
  • Optimierung der Sichtbarkeit des Themas (Suchmaschinenoptimierung):
    Alternativtexte, Videobeschreibungen und so weiter bieten die Möglichkeit, Schlagworte unterzubringen. Dies hilft Suchmaschinen dabei, die Relevanz von grafischem Content für die Bilder- und organische Suche zu ermitteln. „Organische Suche“ heißt: nicht bezahlte Suchergebnisse einer Suchmaschine, die nicht von Werbetreibenden gekauft oder beeinflusst werden können.
  • Barrierefreiheit nutzt allen Menschen:
    Ein Beispiel ist die Erschließung von Informationen über Tonspur oder Untertitel/Videobeschreibung in einem Umfeld, das keine Bild- oder keine Ton-Einblendung zulässt.

Mögliche Varianten:

  • Erstellung zusätzlicher Versionen mit Audiodeskription (AD) und Untertiteln (UT):
    Für längere, sehr komplexe Formate mit visueller Erzählebene wie beispielsweise Berichterstattung von Veranstaltungen, Rückblicke, Dokumentationen
  • Einarbeitung aller relevanten Informationen in den Originalton, weitere Informationen in Videobeschreibung:
    Für klassische Erklärvideos, Video-Tutorials, Interviews, Kurzformate
  • Nachbearbeitung bereits produzierter Videos:
    Erläuterungen auf Website oder Plattform ergänzen

1. Umsetzung der Barrierefreiheit bei der Konzeption und Produktion von Videos

Die nachfolgenden Punkte sollten idealerweise direkt bei der Konzeption eines Videos geplant und berücksichtigt werden.

1.1  Die vier W-Fragen im Audio beantworten

Die Grundregel der Kommunikation, die vier W-Fragen zu beantworten, sollte nicht nur im Bild, sondern auch im Audio befolgt werden:

  • Wer?
  • Was?
  • Wann?
  • Wo?

Beispiel:
Zusätzlich zur Einblendung von Namen und Orten am unteren Bildrand diese Informationen auch in der Moderation oder im Off nennen.

Moderator:
„Ich bin Maxi Mustermensch (Wer?) und befinde mich hier im malerischen Innenhof des Stadtschlosses in Berlin (Wo?). Vor mir sitzt die Stadtplanerin Monika Musterfrau (Wer?) und wir wollen heute Abend (Wann?) über das Thema Architektur (Was?) sprechen. Im Hintergrund finden letzte Fassadenarbeiten statt (Was?).“

Off:
„Maxi Mustermensch und die Architektin Monika Musterfrau (Wer?) haben sich an einem lauen Sommerabend (Wann?) zum Interview im malerischen Innenhof des Berliner Stadtschlosses (Wo?) getroffen.“

1.2  Die für das Verständnis wichtigen Bildelemente beschreiben

Ergänzend zu den W-Fragen sollten die Bilder kurz beschrieben oder im Off erwähnt werden, die wichtig für das Verständnis sind.

Beispiel:
In einem Kochvideo fällt der Rührlöffel in die Suppe.
Mod.: „Hoppla, das stand aber nicht im Rezept!“

Besser:
Mod.: „Hoppla, da habe ich den Rührlöffel versenkt. Der stand aber nicht im Rezept!“

1.3  Alle Texteinblendungen einsprechen

Alle Texteinblendungen müssen im Audio zu hören sein.

Wenn kein*e Sprecher*in verfügbar ist, kann der Text auch über eine synthetische Stimme (text-to-speech) zugänglich gemacht werden. Dies ist besonders für schnelle Video-Kurzformen wie Reels interessant. Manche Plattformen wie z.B. Instagram oder TikTok bieten diese Funktion im Editor an.

Beispiele:
Texteinblendungen wie z.B. Schlagwörter, die den Off-Text erläuternd begleiten, sollten im Off-Text ebenfalls genannt werden.

In kurzen Formaten wie Reels oder Stories werden häufig Texteinblendungen genutzt, die die Kernaussage des Beitrags darstellen oder wichtige Zusatzinformationen bieten (wie z.B. Preisangaben bei Angeboten). Diese müssen ebenfalls im Audio zu hören sein.

1.4  Ergänzende Text-Beschreibungen auf Plattformen einstellen

Wichtige ergänzende Infos in einem angehefteten Kommentar oder über die Videobeschreibung bereitstellen.

Beispiel:
Erklärfilm Kino für alle / Text-Beschreibung auf Website:

„Alle Bilder und Texte werden in einfachem Comic-Stil von Hand gezeichnet. Die Hauptfigur Emma trägt einen roten Dutt und eine große Brille. Karl hat eine schräge Schirmmütze auf. Ins Kino gehen sie gemeinsam mit einer blonden Frau, einer älteren Frau im Rollstuhl, einem Mann mit Schirmmütze und einem kleinen Mädchen mit Puppe.

Das Logo von „Kino für alle“ hat ein breites Kinoformat. Vor der schwarzen Leinwand steht in weißer Schrift „Kino für alle“. Darunter ist eine Reihe mit weißen Sesseln angedeutet. Auf ihnen sitzen Punkte in blau, gelb, grün und rot. Sie stellen die Köpfe von Kinogästen dar.“

1.5  Auf kontrastreiche und lesbare Gestaltung achten

Je kontrastärmer und überladener ein Bild ist, desto schwieriger ist es für Menschen mit Sehrest zu erfassen. Daher auf eine eher cleane, „aufgeräumte“ Bildsprache achten.

Grundsätzlich gelten für visuelle Gestaltungsfragen (Schriftart, -größe, Kontraste und so weiter) die Angaben von https://www.leserlich.info.

Für animierte Videos mit Text, Texteinblendungen beziehungsweise animierte Texte auf Realbild sollten zusätzlich folgende gestalterische Vorgaben berücksichtigt werden:

  • Text nach Möglichkeit immer an derselben Position im Bild platzieren und linksbündig ausrichten
  • Text nach Möglichkeit am unteren Bildrand platzieren, wenn damit nicht wichtige Text- oder Bildelemente verdeckt werden.
  • Animationen eher dezent halten
  • Es sollte immer dieselbe Art der Animation gewählt werden, sich also der Text immer auf dieselbe Art ins Bild bewegen. Am besten von rechts nach links, so dass er sich in Leserichtung aufbaut (der Anfang der Textes kommt von der rechten Seite so zuerst ins Bild).
  • Je aufwändiger die Animation, desto länger sollte die Standzeit sein. Als Richtwert gilt: 13 Zeichen pro Sekunde, besser länger
  • Bei animierten Texten sind die Standzeiten so zu berechnen, dass der Text in unbewegtem Zustand die Mindeststandzeiten von 1 Sekunde je 13 Zeichen einhält.
  • Keine Kontrast-/Farbwechsel innerhalb einer Szene, Farbwechsel innerhalb eines Videos möglichst sparsam und dezent
  • Auf deutlichen Kontrast zwischen Text und Hintergrund achten (vgl. https://www.leserlich.info/werkzeuge/kontrastrechner/index.php) .
  • Text nicht auf unruhigem Hintergrund oder auf Farbverläufen platzieren; falls nötig, den Text mit einer deutlich kontrastierenden Farbfläche hinterlegen.
  • Serifenlose Schriften nutzen, wie beispielsweise Calibri, Verdana, OpenSans, Noto Sans, Frutiger o.ä.
  • Eine Textzeile sollte nicht mehr als 30 Zeichen enthalten / Mehr als maximal 3 Zeilen sollten nicht gleichzeitig zu sehen sein.

Für Schriftgrößen gilt:

  • Die Schriftgröße so wählen, dass sie bei einem Video im Vollbildmodus auf einem durchschnittlichen Smartphone-Screen und einem regulären Leseabstand ausreichend groß ist.
  • Für Videos mit einer Auflösung von 1920 x 1080 Pixeln (Full-HD) gelten dadurch Mindestschriftgrößen für Lesetext von 40 bis 60 px. Titel sollen mindesten 50 % größer als Lesetext sein.

 

2. Hinweise zur Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern

  • Bei Erstkontakt zu Agenturen: Erfahrung mit barrierefreier Gestaltung abfragen, gegebenenfalls Anforderungen formulieren.
  • Anschließendes Briefing sollte konkret und detailliert die Anforderungen an ein barrierefreies Video enthalten (siehe Abschnitt 1).
  • Barrierefreiheit bereits in Entwicklungsphase berücksichtigen: Wie kann Video audiovisuell so aufbereitet werden, dass auch Menschen mit Sinnesbehinderung den Inhalt rezipieren können?
  • Im Skript für das erstellende Video gegebenenfalls Zeit für eingeschobene Audiodeskription einplanen.
  • Feedbackschleifen einkalkulieren, gegebenenfalls erfordert die Abstimmung über barrierefreie Gestaltung mehr Zeit.
  • Manche Agenturen bieten barrierefreie Fassungen (mit Audiodeskription, Untertitelung und Gebärdensprache) als zubuchbare Leistung an – beim Erstkontakt abfragen.
  • Es gibt Anbieter, die barrierefreie Fassungen nachproduzieren.

Unsere Erfahrung zeigt, dass es einer fortwährenden Sensibilisierung für die Anforderungen an die Barrierefreiheit von Videos bedarf. Das betrifft die Seite der Auftraggebenden ebenso wie die Seite der Agenturen. Daher kann es auch in der Zusammenarbeit mit den vertragsgebundenen Agenturen sinnvoll sein, für die Punkte der Checkliste zu sensibilisieren und Unterstützung und Beratung anzubieten.